Ride to Edinburgh 2008

Wenn Einer eine Reise tut .....
Gern mit vielen Bildern
Antworten
Benutzeravatar
Micha
Beiträge: 286
Registriert: So 8. Mai 2011, 15:55
Wohnort: Hamburg

Ride to Edinburgh 2008

Beitrag von Micha »

ist meine vorlage für die Zeitung... Aus Satzgründen also Bilderfrei...
Diese Tour war eine in Sachen europäische Verkehrspolitik, aber deswegen nicht spaßfreier als alle anderen...

Ride to Edinburgh

Der Hamburger Hafen. Das Tor zur Welt. Welch ein geflügeltes Wort und heute wahr. Frisches Öl, neue Reifen, die Tasche ohne die zehn meistvergessenen Sachen drauf (irgendwas fehlt immer) und los. Kurzer Soundcheck im Elbtunnel, und die Köhlbrandbrücke reckt sich in der Sonne auf der richtigen Seite. Knapp sechstausend Kilometer vor mir und die Pferdchen bollern im lockeren Trab. Reisen, wie es sein muss.

Einen Tag später, immer noch Sonne und in Calais auf dem Marktplatz freue ich mich schon auf meine Gefährten von der Südroute. Es sollte ein eine lange Freude werden. Durch den „Wegfall“ bestimmter Papiere mit lustigen Bildchen drauf, verzögerte sich alles ein wenig. Aber wir wären nicht erfahrene Ride to irgendwohin Reisende, wenn das zum Problem werden sollte! Lediglich der Glückliche Abschluss des Tages fand im Land der Eau de Cousine nicht im pünktlich schließenden Restaurant statt, sondern bei einem bekannten Fast Food Menu mit Bier. Alle, das sind Gaby, Rolf, Poksi, Lipps und Micha starten nun auf die andere Seite des Kanals, wie er liebevoll seit Jahrhunderten von den Einheimischen genannt wird.

Der Eurotunnel war schnell gefunden und so spektakulär wie eine Fahrt mit der U-Bahn. Auf der einen Seite verschwindet man auf einem Parkplatz im Waggon, um nach einer halben Stunde Fahrt durch die Dunkelheit auf der englischen Seite, auf einem Parkplatz anzukommen der nicht viel anders aussieht als der französische. Vom Wasser das man überquert hat, bekommt man auf keiner Seite auch nur einen Schimmer mit. Dafür empfing uns der Linksverkehr gleich mit den Typischen Attributen der Insel. Nieselregen, Nebel und Sicht bis kurz hinterm Lenker. Wir müssen wohl da sein.

Das Abenteuer kann beginnen. Eine Küche, vor der man im gesamten Restuniversum gewarnt wird. Humor, der nur auf der Insel und von Bewohnern ab der fünften Generation verstanden wird. Unaussprechliche Ortsnamen und nicht zu vergessen das Ziel der Tour: Whisky in Varianten so reich, wie Schirmchendrinks an einer karibischen Hotelbar. Alles sollte seine Bestätigung finden, aber auch nicht. Hier haben wir ein Merkmal, das England von allen Zielen unterscheidet. Paradoxe, wohin man schaut. Ein Land mit einem der modernsten Rechtssysteme, aber vor Gericht trägt man Perücken. Alle Jahreszeiten an einem Tag, aber Fenster welche im Winter garantiert nicht zugluftfrei sind. Das schönste Grün in bezaubernster Landschaft und etwas weiter Industrielandschaften wie Marx den Kapitalismus beschrieb. Zurückhaltung und Diskretion als Lebensgrundeinstellung, aber Individualismus und Freundlichkeit als Normalität.

Das englische Leben scheint eine gut funktionierende Mischung aus gesundem Menschenverstand, Effizienz an Stelle von Perfektion und dem Irrationalismus von Alice im Wunderland zu sein.

Weiter auf der Straße… Das mit den Kreisverkehren klappt absolut störungsfrei und langsam können wir die Berg- und Talbahn, Straße genannt, mit dem jahrhundertealten „Crash-Barrier-System“ aus Steinmauer mit viel Grün davor und Schafen dahinter genießen.

Weil uns die anfängliche Unsicherheit mit dem „Drive left, Look right“ sehr beschäftigt, wird unsere defensive Fahrweise wohlwollend als höflich angesehen und wir genießen dafür die Freundlichkeit Aller im ländlichen Straßenverkehr.

Die ersten Unterkünfte, wir hatten nichts gebucht, geben den vollen Charme britischer Gemütlichkeit wider. Häkeldeckchen, liebevoll drapierte Accessoires und die volle Breitseite englischer Küche. Dreimal am Tag frühstücken und alles ist gut. So überrascht hat uns die immer gleiche Zusammenstellung in unterschiedlichen Varianten, so das die erste Mahlzeit bald zum Star des Tages wurde. Toast in verschiedenen Sättigungsgraden mit Butter verfeinert, das Ei gebraten oder gerührt, Würstchen (Sausage genannt) und irgendwo weiter östlich kamen auch die Peas auf den Teller. Der heimliche Star auf dem Tisch ist für mich die Marmelade. Echt abgefahren, was da geht. Aber auch hier darf sich natürlich nicht jedes Früchtedestillat so nennen. Alles was uns unter dem Begriff geläufig ist nennt sich nun Jam und nur die bitteren Geschmäcke aus Zitrusfrüchten werden mit der Vokabel Marmelade geadelt.

Fit für den Tag, so in der Regel zwischen zehn und zwölf Uhr ging es los. Die Varianten ergaben sich anfangs, wegen der unterschiedlichen Zeiten zu denen der es zu regnen anfing. Sonne kann ja schließlich jeder. Erst als am dritten Tag ein Zündkerzenstecker (Leider meiner und wieder ein gutes Beispiel für die zehn meistvergessenen Sachen) vor dem heimischen Klima kapitulierte, sollte sich das ändern. Natürlich nur das Wetter! Das Warten auf eben dieses Teil hatte zur Folge, das wir einige interessante Entdeckungen in Kings Lynn machen konnten, welche uns sonst bestimmt verborgen geblieben wären. Also endete der Dienstag mit einer Zwangspause, an deren ersten Abend ausführlich das richtige Zapfen und Trinken von Guinness zelebriert wurde. Natürlich gepumpt von einem erfahrenen Wirt, der uns auch gleich einen Sprachtest abrang, ob wir wohl das richtige Englisch (Queens English) oder den nur den amerikanischen Kram können. Es wurde spät und sehr lustig. Andere schossen sich auf Bitter, die andere Biervariante ein oder bevorzugten Stella. Das Einzige, was wohl in die Nähe unseres bekannten Pils gerückt werden kann. Allen gemein ist, das es lauwarm, ohne Schaum und drei Daumen überm Eichstrich serviert wird. Die Ehrlichkeit des Wirtes lässt sich daran erkennen, das man dieses wirklich volle Glas Guinness einmal abtrinken muss, um es dann noch mal gefüllt zu bekommen. Nette Geste, der vor hundert Jahren bestimmt heftige Szenen vorausgingen, wann ein Gast nun ein „ganzes“ Pint davon erhalten hat. Leider halten auch auf der Insel die modernen Zeiten Einzug, so dass sich dieses Ritual nicht mehr wiederholte. Soviel zum hoch geachteten Individualismus.

Das von den lokalen Bikergruppen des MAG UK gute politische Arbeit geleistet wird, konnten wir auch immer wieder feststellen. Die Themse haben wir bereits kostenfrei unterquert und nun treffen wir auf schönen Straßen immer wieder Schilder für die „Think Bike“ Kampagne an. Bezahlt vom Steuerzahler und organisiert auf höchster Regierungsebene. Mit 20000 Mitgliedern geht eben auch richtig was.

Auf der „Ostroute“ immer hart an der Küste lang Richtung Norden, konnten uns selbst die schönsten Straßen nicht von den Stündlichen Pausen im Halbstundentakt abhalten. Wo in Schleswig Holstein eine Kaimauer oder auch nur eine Bude mit Fischbrötchen im Angebot steht, streckt sich hier eine Pier hunderte Meter weit aufs Wasser raus. Immer erhältlich: Fish and Chips. Auch diese kulinarische Eigenart der britischen Küche hat ihre Reize und schmeckt zu jeder Tageszeit. Außer es ist geschlossen und das wird hier sehr ernst genommen. In größeren Badeorten sind diese Piers mit Spielautomaten vollgestellt, was eine weitere Spielart der allgegenwärtigen Lizenzkultur darstellt. Lizenzen werden für Alles und Jedes ausgegeben, was im öffentlichen Leben eine Rolle spielt. Eine Lizenz für Domino, eine für das Bier im Freien oder auch nur fürs Frühstück nach der Übernachtung. Sehr interessant da tiefer einzusteigen, aber wir müssen weiter fahren.

Auf Grund der verzögerten Zündung am Tag drei, folgte am Donnerstag, nach tosender Begrüßung des Expressboten und Einbau des Kerzensteckers, der beschleunigte Start gen Norden. Wir fuhren etwas direkter als geplant auf Edinburgh zu. Über 600 Kilometer an einem Tag sind doch schon mal eine Nummer, aber noch nicht die Spitze auf dieser Reise.

Auf der Hotelsuche wurden Rolf und ich immer mehr zum Team. Anfänglich horrende Zimmerpreise handelten wir in einem fein abgestimmten Ritual aus nonverbaler Kommunikation zu erträglichen 25-30 Pfund pro Nase aus. Wir wurden immer besser, so das ich es mal mit einem Guinness als Rabatt versuchte. Der Wirt hatte Humor: „Zum Frühstück soviel ihr wollt. Da ist alles inklusive“ Na ja. Ist eben auch ein Geschäftsmann.
So kam es, das wir eines Nachmittages die Grenzlinie zu Schottland überquerten und pünktlich auf dem Unigelände in Edinburgh eintrafen. Rolf musste furchtbar eilig zur Sitzung des Executive- Komitees und der Rest der Gruppe hatte bis zur Stadtrundfahrt um sieben viel Zeit. Den anfänglichen Plan, nach Öl schauen und etwas schrauben verfolgten wir nicht wirklich lange. Zu nah war der Studentenklub und anscheinend auch jede Menge Feierlaune. Unser Speckbier haben wir auch noch nicht bekommen und es war sehr heiß an diesem Nachmittag. Es wurden drei oder vier. Die Abschlußparty der neu ernannten Braumeister will gefeiert werden und wir sind ja auch wegen der Völkerverständigung hier. Leider outete sich keiner als Member der örtlichen Whiskyforschungsanstalt. Der Aufruf zum Bus für die Stadtrundfahrt zu kommen, überraschte uns dann ein wenig. Auf dem Plan stand die Besichtigung des Whisky- Museums. Sehr interessant und lehrreich. Anders als vermutet, gab es die Probe gleich zu Beginn der Führung. Leicht beschwingt, irgendwie hat die Wirkung des Frühstücks nachgelassen und dann kam nichts mehr, wurde der Rundgang zur ersten großen Begrüßungsrunde unter den Teilnehmern. Einige kannte ich noch vom Treffen in Nizza, viele sind aber auch neu dazugekommen.

Irgendwann gegen zehn ging es zügigen Schrittes durch die Stadt, um dem Whisky etwas Festes entgegenzusetzen. Vom Hagis, den uns am Nachmittag empfohlenen Nationalgericht Schottlands sahen wir erst mal ab und blieben auf dem vertrauten Terrain der gebratenen Rinder. Nach Entgastung und Entbierung kristallisierte sich ein neues Restaurant- und Kneipenspiel heraus. Entbrotung. Geht so: Man verlange abends in einem Land, das so was wie Brot nur in Toastform und zum Frühstück akzeptiert, selbiges zu jedem Abendgericht. Nach der kurzem fragenden Blick und kräftigem Nachdenken kommt beim Servicepersonal die Ureigenschaft der englischen Höflichkeit durch und man fragt in der Küche nach. Meistens kommt dann ein Stolz präsentiertes Tellerchen mit eben drei Toastscheiben darauf. Eine Nachbestellung wird mit der glaubhaften Beteuerung, dass nun wirklich kein Brot mehr in der Küche aufzutreiben ist beendet. Das waren bestimmt die Pausenbrote des Koches…

Der Samstag begann für alle ganz unterschiedlich, aber mit der festen Größe English Breakfast im internationalen Rahmen.

Gaby und Poksi erkundeten Edinburgh und trieben die Kulturquote in ungeahnte Höhen. Dazwischen wurden erfolgreich Souvenirs gejagt. Rolf schickten wir in die Fema- Sitzung und der Rest ging zum Kurvenräubern. Im Glanz der Biere wurde uns von allen Seiten geraten das Loch Ness zu besuchen. Wäre eine schöne Tagestour, mit ca. 450. Wir dachten Kilometer. Es wurden Meilen. Schnell wurden Lipps und ich vom Motorway in die schottische Umlaufbahn katapultiert.

Dann folgten nervenzerfetzend schöne Aussichten und das unvergleichbarste Grün dieser Erde in den Highlands. Kein bisher gesehenes Grün passt auf diese Landschaften. Hinter jeder Kuppe in einer anderen Nuance, mit einem kleinen Stich ins bläuliche. Wolkenfelder ziehen über eine sich im Halbstundentakt ändernde Landschaft und die Straßen blieben von neuzeitlichen Begradigungen verschont. Übrigens ein Merkmal der gesamten Insel. Wo immer in Deutschland etwas ständig verbessert werden muss, um im nachhinein schlimmer als vorher auszusehen, kann hier in London oder gar Brüssel erst mal viel entschieden werden. Dieses manchmal unverständliche Festhalten am Alten, bedeutet auf der anderen Seite viel Erhalt von Bewährtem. Und wenn es nur der eigenwillige Verlauf der Straße und der Begrünung daneben dient. Eine Hecke, zweihundert Jahre lang wachsen lassen, alle drei Wochen regelmäßig schneiden, und fertig sind die kilometerlangen Tunnel aus Blüten und Blättern. Einfach atemberaubend. Niemand sollte den heimischen Baumarkt nach Blümchen für die Rabatte durchforsten, bevor er nicht einmal einen englischen Garten gesehen hat. Solch ein Fest der Individualität und Phantasie würde auch unseren Bausparbebauten Vorstädten ganz neue Würde verleihen. Ein Frevel, wer hier nicht anhält und wenigstens ein paar Fotos schießt. So wurde es zwischen Fotostopp und Tankpause schnell Nachmittag.

Das Loch Ness immer noch in weiter Ferne, das Tempo wurde schon Touriger. Die Kurven auf der Ostseite des Loch machten den Höhepunkt des Tages. Zielfoto und schnell zurück auf der anderen Seite über Inverness. Die Maschinen etwas engagierter bewegt, schafften wir es pünktlich zum offiziellen Empfang zurück zu sein. Noch so eine britische Eigenart auf der Straße: Je aufdringlicher die Schilder mit den Warnungen vor den Speed- Cameras wurden, desto besser konnten wir es laufen lassen. Die Polizisten lassen sich auch im 21. Jahrhundert ihr Motto nicht nehmen: „Wir sind dafür da, um unsere Bürger zu beschützen. Nicht sie zu überwachen.“ Sehr löblich diese Einstellung. Ein schöner Beweis, dass ein festhalten an Traditionen sehr effektiv mit der Moderne verbunden werden kann. Oder wir hatten einfach nur Glück.

Für das Gruppenfoto mit der neuen und gerade frisch unterzeichneten Charta der europäischen Motorradfahrer, musste das Speckbier etwas schneller beseitigt werden.
Trotz oder wegen der überstanden 670 Kilometer Tagestour, war der Experimentierfreude gegenüber der nun schottischen Küche Tür und Tor geöffnet. Es gab Hagis. Am Vortag vorsichtig verschmäht, mundete es köstlich. Es kommt also doch, wie so oft im Leben, mehr auf das Wie, als auf das Was an. Die Zutaten können dem Interessierten im Bierlateralen Gespräch erklärt werden. Mit den gereichten Getränken steigerte sich das englische Sprachniveau gewaltig. Bei einigen Teilnehmern aus Europa sogar das Deutsche. Das Zitat des Tages: „Egal in welcher Sprache wir uns unterhalten. Wir sprechen Motorrad und verstehen uns dabei.“

So endete der offizielle Teil der europäischen Motorradfahrerverständigung im bekannten Studentenklub. Das Aufladen am Sonntagvormittag kam und ging in gewohnter Routine. Start zum zweiten Teil des Ride. Richtung Heimat. Natürlich nicht ohne die streng gewählte Küstenlinie zu verlassen. Nun immer an der irischen See entlang. Kleine Abstecher auf die Höhen des Landes bewahrten uns dabei vor einer Überfütterung mit Fish and Chips. Wir passten uns an und pflegten tagsüber die Kunst der Picknicks. Mal am Strand, mal am Rande der über jahrhunderte gewachsenen Straßenbegrenzungen, oder im Stadtpark. Jeder Ort hatte seinen Reiz. Die Puppenstubenathmosphäre in den Orten genauso, wie der erfolgreich überwundene Single Track Road mit 25% Steigung und alpinem Kurvenflair. Zitate der Woche: „Mit Euch fahre ich nicht mehr in den Wald“. Oder: „Ich bin doch keine Bergziege.“ Welches besser ist, weiß ich auch heute noch nicht.

Die Gegenden wurden immer abgefahrener. Völlig unklar, warum die Briten vor rund zweihundert Jahren den Tourismus in alle Welt erfunden haben. Bei all der Landschaft vor der eigenen Haustür. Muss wohl am Wetter gelegen haben.

Etwas sicherer in der Sprache, trauten wir uns nun auch abends an Bed & Breakfast. Grundsätzlich werden diese Häuser von meist älteren und allein stehenden Damen geführt. Immer in ihrer Art liebenswürdig, manchmal etwas eigenwillig und immer sehr geschäftstüchtig, fühlten wir uns in dieser urenglischen Art der Unterbringung sehr wohl. Positiv anzumerken ist, dass es keinem Sanitärhersteller gelungen ist, die absolute Hoheit über das Ende aller Wasserleitungen zu erringen. Die Vielfalt der Badarmaturen ist jedenfalls besonders erwähnenswert. Der klassische Beginn unserer Morgengespräche mit: „ Na, heute morgen schon geduscht?“ hat nichts mit der Reinlichkeit der Reisenden zu tun, sondern hängt eher damit zusammen, der Mischbatterie Wasser und zur Perfektion auch in der gewünschten Temperatur zu entlocken. Einfacher zu verstehen, aber deswegen noch lange nicht easy zu benutzen sind die Hähne an den Waschbecken. Diese sind immer zwei. Einer für kalt und einer für warm und grundsätzlich soweit auseinander, dass nach Eiswürfeln immer Verbrennungen folgen. Wir haben es versucht der Sache auf den Grund zu gehen, aber mir bleibt nichts anderes übrig, als ergebnislos auf die Kehrseite der Medaille Tradition zu verweisen.

Unter dem „muss man mal gesehen haben“ reiht sich Blackpool ganz vorne mit ein. Leider waren wir wohl einen Monat zu früh hier. Die Promenade, gefühlte zehn Kilometer lang, gibt sich wie der Hamburger Kiez. Als Steigerung stehen hier noch zusätzlich Achterbahnen und andere Attraktionen zwischen den unzähligen Kneipen. Alles keine 200 Meter vom Strand weg und bestimmt eine Partylocation eigener Klasse.

Wer bis hierhin ungefähr auf der Landkarte folgen konnte, merkt das Schottland langsam zu Ende geht und der rote Drache auf grünen Grund das Zepter übernimmt. Wales. Zuvor muss aber noch die Blaupause aller Mauern besucht werden. Der Hadrianwall, einst von den Römern als Grenzlinie des römischen Reiches zur barbarischen Außenwelt angelegt, zeigt sich immer noch in erstaunlich gutem Zustand. Einzig, die Straße daneben wurde geteert und die Hecken alle drei Wochen geschnitten. Sonst dürfte sich nicht viel an der Landschaft geändert haben. Sehr sehenswert.

Die Imbissbuden am Rande der Straße sollte ein Besucher auch nicht links liegen lassen. Eine Stunde lang auf das, natürlich gemähte Grün gelegt und wir kannten den Förster, das städtische Müllpersonal und noch einige Köstlichkeiten der schnellen Küche von Mary. Wie immer, sind alle Beteiligten gut für ein kurzes Schwätzchen über das woher, wohin und warum aufgelegt.

Dieses ausführliche Reisen kostet zwar etwas mehr Zeit und uns die intensive Umrundung von Wales, aber ich wollte keinen Moment dieser Begegnungen missen. Warum steht nur davon nichts in den sowieso schon spärlich verfügbaren Reiseführern der sogenannten Englandkenner?

Als letzter touristisch wertvoller Punkt wurde der Hafen von Bristol angesteuert. Von hier aus segelte die Hispanola zur Schatzinsel und liegt der Ursprung zur Romanvorlage von Robinson Crusoe. Gedanken, welche uns die mediterran anmutende Verkehrsdichte vergessen ließen. Etwas zu sehr vielleicht. Noch vier Stunden bis zum letzten Check In auf der Fähre nach Dieppe. Fünf Stunden bis zum endgültigen ablegen in Newhaven.

Zum Glück klappt überall auf der Welt mit Motorrädern das, was in Deutschland dem Wachtmeister einen Herzkasper beschert. Entschlossenes zusteuern auf den Kreisverkehr mit einem Motorrad wird meistens mit Platz und Aufmerksamkeit der vierrädrigen Verkehrsteilnehmer beantwortet. Englische Höflichkeit eben, aber für uns einigermaßen angemessenes Vorankommen. Nach kilometerlangen, grünen Naturtunneln öffnete sich uns eine atemberaubende Hochebene mit dem perfektesten Rasen, den ich je gesehen habe. Eine nagelneue Straße mit idealen Kurvenradien schmiegte sich lustvoll in die Landschaft. Yeah! Gib Gas, sagt das hüpfende Bikerherz, um nur zehntelsekunden später in die Hose zu rutschen. Die erste Landstraße, welche nicht mir Mauern gesäumt war, hatte eine besondere Art der „Verkehrsberuhigung“ zu bieten. Die hellen Knäuel am Staßenrand bewegten sich und manche wechselten auch mal die Seite. Das Schafsroulette senkte Geschwindigkeit und Schräglage beträchtlich. Effektivität geht vor Perfektion. Ziel erreicht.

Unter Nutzung der vielfach angelegten Mopedspuren, Sardinienreisende wissen was ich meine, erreichten wir den Hafen und die geschlossene Bahnschranke davor. 15 Minuten vor dem Ablegen und das geschlossene Tor am Kai vor Augen. Bange Minuten. Das gut vernehmbare ankommen von fünf Motorrädern veranlasste zum Glück die Hafenarbeiter noch mal zum öffnen des selbigen. Ein schwarzer Tag für die Hafenarbeitergewerkschaft, aber für uns bedeutete das nochmalige Hochfahren der Passkontrollcomputer das gerade noch rechtzeitige erreichen der Fähre.

Die Passschwierigigkeiten wegen der unfachmännisch entsorgten Papiere am Reiseanfang überspielten wir, indem die Angestellte mit der Zuordnung der Personen zu den Namen nicht ganz zurecht kam. Alle Zettel schnell ausgeteilt, ein freundliches „Passt schon“ und wir waren drin. Zeit, die Kreideküste in der untergehenden Sonne zu genießen.

In Frankreich wurde mein Vertrauen auf die innereuropäische Freizügigkeit von einem übel gelaunten Zöllner (Frankreich hatte gegen Holland verloren) leicht erschüttert. Wir wollten nur noch kurz den Rechtsverkehr ausprobieren und eigentlich nur noch ins Bett, aber der Herr mit Taschenlampe in zappendusterer Hafenausfahrt bestand auf eine penible Einreisekontrolle. Nachdem geklärt war, das wir keine illegalen Einwanderer sind, konnten wir unsere letzte gemeinsame Etappe antreten. Heute mussten die angesammelten Picknickreste aus den Satteltaschen vernichtet werden. Bier, Käse, Brot und Rotwein fanden, garniert mit den erlebten Geschichten, ein würdiges Ende.

Am Morgen starteten wir dann in Etappen über die Autobahn; Gaby, Rolf und ich über Land in Richtung Frankfurt. 850 Kilometer Landstraße an einem Tag und die Zeit bis zur Ankunft um Mittenacht verging ganz ohne Streß oder Blasen am Hintern. Hätte ich nie gedacht.

Trotzdem ging am nächsten Tag das, nun erstmals wieder selbst gemachte, Frühstück langsam in den Abend über und es wurde Zeit die heutige Etappe alleine anzutreten. Mit den letzen Sonnenstrahlen erreichte ich den Hamburger Hafen. Die Köhlbrandbrücke strahlte im Abendrot und der Soundcheck im Elbtunnel verhieß ein baldiges Heimkommen. Das europäische Reden unter Bikern hat sich für die BU und unser Zusammenwachsen an den recht ähnlichen Sorgen für alle gelohnt.

Nächstes Jahr geht es nach Finnland. Muss noch dicke Handschuhe kaufen gehen…

Micha

Infokasten:

Dauer der Tour: 15 Tage

Länge der Tour: knapp 6000 km.

Zimmerpreis pro Nacht: zwischen 25 und 90 Pfund (Family Room). Mehr geht immer. Traut Euch zu verhandeln.

Wetter: Anfang Juni; Nur drei Tage feucht, sonst mal ein Schauer am Abend.

Besonderheiten: Links fahren. Der Rest findet sich.

Route (ganz grob): in Calais übersetzen, dann rechts rum und immer an der Küste nach Norden. Über Dover, Sandwich, Canterbury, bei Dartford durch die Themse, Ypswich, Kings Lynn, York, Edinburgh, Loch Ness Westseite hoch und über Inverness wieder nach Edinburgh, über Glasgow auf die Westseite wechseln und immer an der irischen See lang runter, Blackpool, Liverpool, Bristol und dann irgendwie quer rüber nach Newhaven, Seefahrt nach Dieppe und einmal quer durch Frankreich über Saarbrücken nach Frankfurt. Bis Hamburg ist es nur noch ein kleiner Rutsch für den Nachmittag.

Essen: Die Küche hat manchmal ihre Härten, ist es aber Wert durchweg probiert zu werden. Besonders empfehlenswert: Full english Breakfast!
Die Welt ist groß und bunt...
Antworten